Fokus

Die Region Berlin-Brandenburg und die Tesla-Gigafactory

Wissenschaftliche Einschätzung zur Ansiedlung von industriellen Großprojekten in wasserarmen Gebieten
Das Bauvorhaben "Gigafactory Berlin-Brandenburg" der Firma Tesla in Grünheide und dessen potenzielle Auswirkungen auf die Umwelt werden kontrovers diskutiert. Wegen des thematischen Bezugs und der lokalen Nähe erreichen Anfragen dazu auch das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), das seinen Hauptsitz am Berliner Müggelsee hat. Das IGB nimmt dies zum Anlass, eine wissenschaftliche Einschätzung zur Ansiedlung von industriellen Großprojekten in einer vergleichsweise wasserarmen Region zu veröffentlichen.

Das Gelände der zukünftigen Tesla-Gigafactory in Grünheide im August 2020. | Foto: Markus Mainka / Shutterstock.com

 

Die Region Berlin-Brandenburg ist bedingt durch die eiszeitliche Landschaftsformung zwar gewässerreich, aber gleichzeitig sehr wasserarm. Dies ist ein wesentlicher und wichtiger Unterschied: Während vergleichsweise viele Oberflächengewässer sichtbar sind (Abb. 1), gehört Berlin-Brandenburg zu den niederschlagsärmsten Regionen Deutschlands [DWD 2019]. Zwar fließen mit Spree, Dahme und Havel drei Flüsse durch Berlin, aber diese führen im Vergleich zu anderen großen deutschen Flüssen wenig Wasser. Sowohl für die Ökosysteme selbst als auch die verschiedenen Nutzungen steht daher verhältnismäßig wenig Wasser zur Verfügung. Der Nutzungsdruck ist im Einzugsgebiet der Spree bereits jetzt vergleichsweise hoch.

Neben der mengenmäßigen Verfügbarkeit von Wasser (Quantität) spielt auch dessen Beschaffenheit (Qualität) eine entscheidende Rolle. Beide Aspekte und auch ihre Wechselwirkungen müssen bei der Bewertung von Wassernutzungen gleichwertig betrachtet werden.

Gewerbliche, öffentliche und private Entwicklungsvorhaben berühren wasserwirtschaftlich die Bereiche Wasserbedarf, Wasserentnahme und Wasseraufbereitung sowie Abwasseranfall, Abwasserreinigung und Einleitung von gereinigtem Abwasser. Die jeweiligen Auswirkungen in den genannten Bereichen können die öffentlichen Schutzziele (gemäß § 6 Wasserhaushaltsgesetz / WHG) für die Gewässer (z.B. der gute ökologische Zustand der Gewässer) sowie andere Nutzungen (z.B. Trinkwassergewinnung, Fischerei oder Freizeitnutzungen wie Wassersport) beeinflussen oder einschränken. Auf die Einzelaspekte wird im Weiteren genauer eingegangen. 

 

Langfristige Folgen abschätzen, Datengrundlagen öffentlich machen und Zielkonflikte abwägen

Grundwasser und Oberflächengewässer sind wertvolle Lebensräume und wichtige Ressourcen zugleich. Dies führt immer wieder zu Zielkonflikten zwischen Schutz und Nutzung dieser Ökosysteme, aber auch zwischen unterschiedlichen konkurrierenden Nutzungen. Insbesondere in wasserarmen Regionen wie dem Spree-Einzugsgebiet mit dem Ballungsraum Berlin ist es daher nach wissenschaftlicher Einschätzung des IGB umso wichtiger, die Auswirkungen bestehender und geplanter Nutzungen auf die gesetzlichen Schutzziele genau zu kennen und so ihre Gesamtwirkung auf das Gewässersystem abschätzen zu können. Für diese Analyse ist es zweckmäßig, die vielen verschiedenen Ökosystemleistungen¹ der Gewässer zu betrachten. Zudem ist abzuschätzen, durch welche Eingriffe oder Maßnahmen diese in welcher Weise verändert werden. Entscheidungen in Genehmigungsverfahren sollten transparent und auf Basis von bestmöglicher Fachexpertise sowie belastbaren Daten aus Ökohydrologie und Gewässerökologie getroffen werden. Die Gefährdung von Schutzgebieten, Arten und generell der aquatischen Ökosysteme sollte dabei entsprechend den gesetzlichen Vorgaben (z.B. WHG, Wasserrahmenrichtlinie / WRRL, FFH-Richtlinie) so gering wie möglich gehalten werden. Verschlechterungen des Zustands von Oberflächengewässern und Grundwasserkörpern sind rechtlich nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig.

Bei Großvorhaben sollten die Entscheidungsgrundlagen und Daten aufgrund der hohen gesellschaftlichen Relevanz grundsätzlich öffentlich zugänglich sein, um unabhängige Analysen durch unterschiedliche Akteur*innen zu ermöglichen. Ökohydrologische, limnologische, chemische und biologische Daten sollten genutzt werden, um Entscheidungen bzgl. Trink- und Grundwasserschutz sowie sensibler Lebensräume abzuwägen. Diese Daten und Modellierungen, z.B. zum Fließverhalten von Oberflächengewässern und Grundwasser unter bestimmten Bedingungen und Szenarien, sollten in einer der komplexen Fragestellung angemessenen Qualität in die langfristige Risikoabschätzung integriert werden. Dabei können die in der Vergangenheit beobachteten Werte zu Wassermengen und Wasserqualität nicht ohne weitere Prüfung für die Zukunft angenommen werden, denn zu erwartende Veränderungen durch den Klimawandel und in der Bergbaufolgelandschaft müssen berücksichtigt werden. Wo solche Daten und Informationen fehlen oder nicht in ausreichender Qualität vorliegen, sollten diese im öffentlichen Auftrag gemäß wissenschaftlicher Qualitätsstandards erhoben und ebenfalls öffentlich zugänglich gemacht werden. 

Im Folgenden werden grundlegende Wasser- und Gewässeraspekte erläutert, die in der Region Berlin-Brandenburg bei der Ansiedlung von Industrieprojekten dringend beachtet werden sollten. Die aktuelle Situation sowie Prognosen zur Wasserquantität und -qualität bzw. wasserwirtschaftliche Aspekte wurden bereits im Klimareport Brandenburg des Deutschen Wetterdiensts [DWD 2019] und dem Niedrigwasserbericht der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz [SenUVK 2021a] sowie dem Landesniedrigwasserkonzept Brandenburg [MLUK 2021] ausführlich erläutert. Die SenUVK entwickelt derzeit einen Masterplan Wasser. Dieser soll Maßnahmen und Strategien enthalten, um den aktuellen als auch zukünftigen Herausforderungen zu begegnen [SenUVK 2021b].

 

Abb. 1: Übersichtskarte über die in diesem Text genannten Gewässer, Probenahmepunkte und Infrastruktur zur Wasserver- und -entsorgung. | Abbildung: Anna Lena Kronsbein/IGB

Abb. 1: Übersichtskarte zu Gewässern, Probenahmepunkten und zur Infrastruktur der Wasserver- und Abwasserentsorgung. | Abbildung: Anna Lena Kronsbein/IGB

 

Wasserknappheit und steigender Wasserbedarf in der Region

Berlin-Brandenburg ist gewässerreich, gehört zugleich aber zu den wasser- und niederschlagsärmsten Regionen Deutschlands [DWD 2019]. In der Region gibt es recht begrenzte oberflächennahe Süßwasser-Grundwasserleiter, ab circa 300 Metern Tiefe herrschen Salzwasser-Grundwasserleiter vor [TU Berlin 2020]. 

Im Zuge des Klimawandels ist von einer Zunahme der Jahresmitteltemperatur sowie der Anzahl an Sommertagen (Maximaltemperatur mindestens 25°C) auszugehen. Bis 2050 ist mit keiner deutlichen Zunahme der Jahresniederschläge zu rechnen. Allerdings werden sich die Niederschlagsmengen im Jahresgang anders verteilen: Während in den Sommermonaten weniger Regen fällt, nehmen die Niederschläge im Frühjahr und Winter zu. Zudem werden lokale Starkniederschlagsereignisse häufiger auftreten. Insgesamt werden die klimatischen Veränderungen zu einer Häufung extremer Witterungsereignisse, wie z.B. längere Dürreperioden, führen und folglich die bereits heute kritische regionale Wasserverfügbarkeit weiter verschärfen [DWD 2019]. 

Höhere Temperaturen führen zu einer Zunahme der Verdunstung von Wasseroberflächen, von Böden und durch Pflanzen (Evapotranspiration). Dadurch wird nicht nur die Wassermenge reduziert, sondern es werden auch die Gewässerqualität und die Ökosysteme negativ beeinflusst [DWD 2019, SenUVK 2021a]. Die jüngste Dürre in der Region Berlin-Brandenburg (2018) hat die Anfälligkeit der Gewässernetze für verringerte Niederschläge durch zeitweises Trockenfallen gezeigt und die Bedeutung der Vegetation und verschiedener Landnutzungsformen im regionalen Kontext hervorgehoben [Kleine et al. 2021]. 

Längere Trockenphasen verschlechtern die Wasseraufnahmefähigkeit von Böden und damit auch die Grundwasserneubildungsrate [DWD 2019]. Auch eine mit dem Klimawandel einhergehende Veränderung der Niederschlagsmuster hin zu mehr Starkregenereignissen führt zu einer geringeren Grundwasserneubildung, weil mehr Wasser oberflächlich aus dem Gebiet abfließt oder verdunstet, statt zu versickern. 

Vor dem Hintergrund aktueller Klimaprognosen sind deshalb bei allen Flächenversiegelungen Regenwasserversickerungen vor Ort notwendig. Laut Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zum Bauvorhaben von Tesla, Abschnitt 3.2, ist dort eine solche Regenwasserversickerung geplant. Das Landesamt für Umwelt (LfU) Brandenburg hat dafür am 13. September 2021 eine Zulassung auf vorzeitigen Beginn der Errichtung von Anlagen der Niederschlagsversickerung erteilt [LfU 2021]. Da von versiegelten Flächen jedoch unerwünschte Stoffe vom Niederschlagswasser mobilisiert und transportiert werden können, sollte die Qualität des Niederschlagsabflusses regelmäßig geprüft werden, wie es laut der UVP-Unterlagen auch geplant ist [LfU 2021]. Gegebenenfalls ist vor der Versickerung eine Vorbehandlung zum Beispiel mit Filtersystemen vonnöten, um unerwünschte Inhaltsstoffe zurückzuhalten und eine Kontamination der angrenzenden Ökosysteme und des Grundwassers  zu vermeiden. 

Die Daten zur Grundwasserneubildung der letzten 30 Jahre zeigen bereits einen vorwiegend negativen Trend [DWD 2019]. Abbildung 2 zeigt beispielhaft abnehmende Grundwasserstände in der Region. Sinkende Grundwasserspiegel verringern nicht nur die Wassermenge in Oberflächengewässern, sondern sind auch problematisch für sowohl grundwasserabhängige Ökosysteme wie Moore [Klingenfuß et al. 2015], Wälder und Stadtbäume als auch wasserwirtschaftliche Anlagen [SenUVK 2021a]. Obwohl in der Region historisch gesehen die Landschaftsentwässerung (Drainagen, Flussbegradigungen, Trockenlegung von Mooren) die landwirtschaftliche Nutzung von Flächen zunächst förderte [Nützmann et al. 2011], machen der Klimawandel sowie menschlicher und natürlicher Wasserbedarf ein Umdenken hin zu einem naturnahen Wasserhaushalt mit langen Verweilzeiten in der Region durch verstärkten Wasserrückhalt (Retention) erforderlich.

Eine weitere Herausforderung ist der steigende Wasserbedarf in der Region. Das anhaltende Bevölkerungswachstum Berlins führt zu steigendem Wasserbedarf und neuen Flächenversiegelungen. Die zunehmende Bebauung des Speckgürtels” resultiert ebenfalls in zusätzlichen Flächenversiegelungen, damit reduzierter Grundwasserneubildung und geringerem Wasserrückhalt in der Landschaft. Der Trend zum Eigenheim im Grünen erhöht den Bewässerungsbedarf für Privatgärten. Zudem steigt infolge des Klimawandels der Bewässerungsbedarf von innerstädtischen Grünflächen und Gärten, aber auch von landwirtschaftlich genutzten Flächen. Die Tesla-Gigafactory kommt als zusätzlicher Nutzer hinzu: Der Wasserbedarf der Fabrik ist in den aktuellen UVP-Unterlagen mit 1,4 Mio Kubikmetern pro Jahr angegeben [LfU 2021]. Dies entspricht dem Wasserbedarf einer Stadt mit 31.000 Einwohner*innen.

 

Abb. 2: Abnehmende Grundwasserstände an Messstellen des Berliner Senats. Alle Messstellen liegen auf der Barnim Hochfläche (Rottöne) oder Teltow Hochfläche (Grüntöne), die genaue Lage ist in Abb. 1 dargestellt. | Abbildung: Jörg Lewandowski/IGB nach Daten des Landes Berlin

Abb. 2: Abnehmende Grundwasserstände an Messstellen des Berliner Senats. Alle Messstellen liegen auf der Barnim Hochfläche (Rottöne) oder Teltow Hochfläche (Grüntöne), die genaue Lage ist in Abb. 1 dargestellt. | Abbildung: Jörg Lewandowski/IGB nach Daten des Landes Berlin

 

Zunehmende Belastung durch organische Spurenstoffe

Organische Spurenstoffe sind vom Menschen hergestellte, chemische Verbindungen. Sie sind z.B. in Medikamenten, Reinigungsmitteln, Pestiziden, Korrosionsschutzmitteln, Farben und Lacken enthalten. Sie sind häufig sehr langlebig und oft in geringen Konzentrationen in Oberflächengewässern, Grundwasser und Trinkwasser vorhanden. Schon niedrige Konzentrationen mancher Spurenstoffe können potenziell negative Auswirkungen auf Ökosysteme oder die menschliche Gesundheit haben. Viele dieser Substanzen sind wasserlöslich und können in Kläranlagen nicht oder nicht vollständig abgebaut werden. Sie gelangen daher über die Kläranlagen, aber auch durch andere Quellen wie den Regenablauf in die Gewässer. Schon seit 2009 misst das IGB im Spree-Zufluss Erpe, in die das Klärwerk Münchehofe entwässert, eine erhebliche Belastung des Oberflächenwassers mit organischen Spurenstoffen (Abb. 3). Die Genehmigung zusätzlicher Einleitungen durch Industrievorhaben wie die Tesla-Gigafactory sollte daher sehr genau geprüft werden, weil dadurch die Schadstofffrachten steigen könnten. In der Hauptstadtregion ist dies insbesondere wichtig, weil Grundwasser und Oberflächengewässer die Grundlagen für die Trinkwasserversorgung sind. Rund 60 % des Berliner Trinkwassers werden aus Uferfiltrat gewonnen, also letztendlich aus Oberflächenwasser, das eine monatelange, natürliche Reinigung im Untergrund durchläuft, bevor es gefördert wird. Weitere 10 % stammen aus der Grundwasseranreicherung, also ebenfalls aus den Oberflächengewässern [SenUVK 2021b].

Die Wasserver- und -entsorgung in Berlin basiert auf einem teilgeschlossenen Wasserkreislauf. Die Trinkwasserressourcen der Stadt sind somit potenziell anfällig für schwer abbaubare  Verunreinigungen, weil gereinigtes Abwasser stromabwärts anteilig wieder als Trinkwasser gefördert wird. Eine bisher noch nicht veröffentlichte IGB-Studie an der Erpe östlich von Berlin unterhalb des Ablaufs des Klärwerks Münchehofe (Punkt “Infiltrationsuntersuchungen IGB” in Abb. 1) hat gezeigt, dass Spurenstoffe aus der Erpe in den flussnahen Grundwasserleiter gelangen und sich in Richtung einer Brunnengalerie der Berliner Wasserbetriebe (BWB) bewegen. Untersuchungen der BWB haben ergeben, dass sich bereits Spurenstoffe in diesen Trinkwasserbrunnen (Nördlichste Uferfiltrationsgalerie in Abb. 1) wiederfinden [BWB, persönliche Kommunikation mit Uwe Dünnbier, 14.06.2021]. Das Beispiel zeigt, dass es zukünftig im Ballungsraum Berlin zu einer höheren Trinkwasserbelastung mit organischen Spurenstoffen kommen könnte, weshalb neue, größere Belastungsquellen möglichst vermieden werden sollten. 

 

Abb. 3: Konzentration ausgewählter Spurenstoffe in der Erpe unterhalb der Einleitung des Klärwerks Münchehofe zwischen 2009 und 2019. | Datenquellen: Juli 2009: Lewandowski et al. [2009], Dezember 2015: Schaper et al. [2018], Juli 2016: Schaper et al. [2019], September 2018: Mueller et al. [2021], Juli 2019: Unveröffentlichte Daten von Hanna Schulz. Angegeben ist der Median der Konzentrationen in den genommenen Proben, Fehlerbalken zeigen den Interquartilsabstand (2009: Eine Mischprobe, daher kein Interquartilsabstand)  | Abbildung: Christoph Josef Reith/IGB

Abb. 3: Konzentration ausgewählter Spurenstoffe in der Erpe unterhalb der Einleitung des Klärwerks Münchehofe zwischen 2009 und 2019. | Datenquellen: Juli 2009: Lewandowski et al. [2009], Dezember 2015: Schaper et al. [2018], Juni 2016: Jaeger et al. [2019], September 2018: Mueller et al. [2021], Juli 2019: Unveröffentlichte Daten von Hanna Schulz. Angegeben ist der Median der Konzentrationen in den genommenen Proben, Fehlerbalken zeigen den Interquartilsabstand (2009: Eine Mischprobe, daher kein Interquartilsabstand)  | Abbildung: Christoph Josef Reith/IGB

 

Die prognostizierten längeren Trockenphasen, steigende Evapotranspiration und ein höherer Wasserbedarf können außerdem eine vermehrte Umkehrung der Fließrichtung der Spree und langfristig eine höhere stoffliche Belastung des Müggelsees und damit auch der angrenzenden Uferfiltrationsbrunnen für die Trinkwassergewinnung zur Folge haben [SenUVK 2021b]. Denn bei anhaltender Trockenheit, wie z. B. im Sommer 2019, fließt die Stadtspree, die durch die Erpe und Panke bereits mit geklärtem Abwasser belastet ist, entgegen ihrer normalen Fließrichtung zurück in den Müggelsee (Pfeil Spreetunnel in Abb. 1). Im Masterplan Wasser wurden verschiedene Szenarien zum Klimawandel, zu Bevölkerungsentwicklung und zu baulichen Maßnahmen betrachtet. Demnach wird die Spree zukünftig vermehrt rückwärts fließen, je nach Szenario durchschnittlich 3 bis 6 Monate im Jahr [SenUVK 2021b]. Hier könnten sich somit bereits bestehende Risiken für die Trinkwasserqualität vergrößern, was ebenfalls eine besonders sorgfältige Prüfung potenzieller zusätzlicher Schadstoffeinleitungen z.B. aus industriellen Anlagen notwendig macht. 

Die Abwässer der Tesla-Gigafactory sollen laut entsprechender Ausschreibungsunterlagen über eine neu geplante kommunale Kläranlage in Freienbrink in die Müggelspree eingeleitet werden [WSE 2021]. Durch die Einleitung könnte es zu einer dauerhaft erhöhten organischen Spurenstoffbelastung des Müggelsees und der umliegenden Uferfiltrationsbrunnen kommen, da der Müggelsee flussabwärts der geplanten Einleitung gelegen ist. Dies würde die oben erläuterten, bereits bestehenden Probleme weiter verschärfen. 

Das Ausmaß der Belastung wird grundsätzlich stark von den im Produktionsprozess verwendeten Stoffen, von der Reinigungstechnologie in der betrieblichen Abwasserbehandlungsanlage der Tesla-Gigafactory selbst sowie von der Ausstattung und dem Management der noch zu bauenden kommunalen Kläranlage in Freienbrink abhängen. Jedoch ist selbst mit einer 4. Reinigungsstufe (meist Aktivkohle oder Ozonierung) keine vollständige Elimination von unerwünschten Wasserinhaltsstoffen möglich. Die Emissionsvermeidung sollte daher gemäß dem Vorsorgeprinzip grundsätzlich Anwendung finden.

 

Weitere stoffliche Belastungen: Sulfat in den Gewässern und im Trinkwasser

Tesla beantragt zudem die Einleitung von Sulfat (SO42-) über das Abwasser (Einleitgrenzwert  < 600 mg/L, Abschnitt 10.7 der UVP-Unterlagen [LfU 2021]), was die Sulfatkonzentrationen in Spree und Müggelsee weiter erhöhen könnte. Die bereits hohen Sulfatkonzentrationen der Spree sind insbesondere auf die aktiven und stillgelegten Braunkohletagebaue im Einzugsgebiet der Spree zurückzuführen. Das Sulfat-Langzeitmonitoring des IGB entlang der Spree zeigt, dass die Sulfatkonzentrationen im Oberflächenwasser der Spree seit Jahren sehr hoch sind und häufig den Trinkwassergrenzwert von 250 mg/L erreichen (Abb. 4) [IGB 2016]. Deshalb sollte jede zusätzliche Sulfatbelastung der Spree vermieden werden.

 

Abb. 4: Sulfatkonzentration [mg/L] im Oberflächenwasser der Spree von Ost nach West in dem Zeitraum 2010-2020, nicht an allen Standorten liegen für jedes Jahr Daten zur Sulfatkonzentration vor; rot gestrichelte Linie: Trinkwassergrenzwert, Fehlerbalken: Standardabweichung [mg/L], ohne Fehlerbalken: nur ein bis zwei Messwerte verfügbar. | Abbildung: Anna Lena Kronsbein/IGB

Abb. 4: Sulfatkonzentration [mg/L] im Oberflächenwasser der Spree von Ost nach West (Große Tränke - Müggelsee) in dem Zeitraum 2010-2020, nicht an allen Standorten liegen für jedes Jahr Daten zur Sulfatkonzentration vor; rot gestrichelte Linie: Trinkwassergrenzwert, Fehlerbalken: Standardabweichung [mg/L], ohne Fehlerbalken: nur ein bis zwei Messwerte verfügbar. | Abbildung: Anna Lena Kronsbein/IGB

 

Zusammenfassung und Fazit

Das IGB unterstreicht auf Basis seiner langjährigen Forschungsarbeit im Spree-Einzugsgebiet die hohe Relevanz einer genauen Prüfung der bestehenden und zukünftigen Nutzungsinteressen, da Wasser und Gewässer in der Region bereits jetzt stark beanspruchte Ressourcen und Ökosysteme sind. 

Bei Großvorhaben sollten die Entscheidungsgrundlagen und Daten aufgrund der hohen gesellschaftlichen Relevanz grundsätzlich öffentlich zugänglich sein, um unabhängige Analysen durch unterschiedliche Akteur*innen zu ermöglichen. Die Entscheidungen in Genehmigungsverfahren sollten transparent und auf Basis von bestmöglicher Fachexpertise sowie belastbaren Daten aus Ökohydrologie und Gewässerökologie getroffen werden. Die Gefährdung von Schutzgebieten, Arten und generell der aquatischen Ökosysteme sollte dabei entsprechend den gesetzlichen Vorgaben (z.B. Wasserhaushaltsgesetz, Wasserrahmenrichtlinie, FFH-Richtlinie) so gering wie möglich gehalten werden.

Diese genaue Prüfung ist wichtig, weil die Ansiedlung industrieller Großprojekte die bereits kritische Wasserverfügbarkeit und Gewässerbelastung in wasser- und niederschlagsarmen Regionen wie Berlin-Brandenburg weiter verschärfen kann. Folgen des Klimawandels wie höhere Temperaturen, Starkregenereignisse und längere Trockenphasen bei zeitgleich steigendem Wasserbedarf erfordern Maßnahmen, die einen naturnahen Wasserhaushalt mit langen Verweilzeiten in der Landschaft fördern und nicht noch weiter einschränken.

Um die konkreten Risiken für Gewässerökosysteme und die von ihnen erbrachten Ökosystemleistungen (Trinkwasser, Bewässerung, Fischerei, Tourismus und Freizeitnutzung, etc.) abzuschätzen, bedarf es im Zuge der Genehmigungsverfahren einer grundsätzlichen Bilanzierung der Wasserverfügbarkeit und der öffentlichen, gewerblichen und privaten Wasserbedarfe – und zwar nicht nur im Jahresmittel, sondern außerdem spezifisch für die kritischen Sommermonate. 

Angesichts der beschriebenen regionalen Probleme sollte bei großen Industrieansiedlungen neben der Einhaltung der ohnehin geltenden Umweltgesetzgebung besonders darauf geachtet werden, dass Unternehmen mit ihrem Wasserbedarfs-, Abwasser- und Niederschlagswassermanagement einen klimaangepassten, regionalen Wasserhaushalt stützen und die Gewässerbelastung nicht zusätzlich verschärfen. Dafür sollten Umwelt- und Wirtschaftspolitik noch deutlich besser verzahnt werden. Grundsätzlich sollten Wasser und Gewässer auch bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen als wichtige, sensible und begrenzte Ressourcen ressortübergreifend berücksichtigt werden.

Das IGB unterstützt deshalb die im Entwurf der Nationalen Wasserstrategie des Bundesumweltministeriums formulierten Grundsätze [BMU 2021], dass Unternehmen für die Gewässerbelastungen, die von ihnen emittierten Stoffe und Produkte über den gesamten Lebenszyklus in die Verantwortung genommen werden sollten und folglich auch für die Nutzung von Wasser und Gewässern angemessene Preise zahlen. Oberstes Ziel sollte eine wassersparende Produktion mit weitgehend geschlossenen Wasserkreisläufen sein, die stoffliche Emissionen in Gewässer möglichst von vornherein vermeidet. Abwasserreinigungstechnologien sollten auf dem jeweils aktuellsten Stand der Technik implementiert und auch kontinuierlich modernisiert werden.

Aus wissenschaftlicher Sicht unerlässlich ist ein an Klimaveränderungen angepasstes Wasserressourcenmanagement, das den Gewässer- und Trinkwasserschutz sowie Bedarfe verschiedener Nutzungsgruppen möglichst nachhaltig in Einklang bringt und darüber hinaus für Mangelsituationen eine entsprechend klare Priorisierung vorsieht.

 

Zur Einordnung: Die Rolle des IGB als öffentliches Forschungsinstitut – neues Wissen schaffen, die Öffentlichkeit objektiv beraten

Das IGB ist ein öffentliches außeruniversitäres Forschungsinstitut, das in der gewässerökologischen Grundlagenforschung aktiv ist, aber auch Anwendungsfragen in die wissenschaftliche Arbeit einbezieht. Wenn entscheidungsrelevante Forschungsdaten am IGB vorliegen, ist das IGB gerne bereit, diese anderen Akteur*innen, die sich in Umweltverträglichkeitsprüfungen und Entscheidungsprozesse einbringen wollen, bereitzustellen. Einzelfallbezogene gutachterliche Arbeiten, wie z.B. im Rahmen von Umweltverträglichkeitsprüfungen von Bauvorhaben, sind jedoch nicht Kernauftrag des Instituts.

Grundsätzlich legt das IGB als Forschungsinstitut besonders großen Wert auf die Seriosität und wissenschaftliche Belastbarkeit seiner formulierten Einschätzungen. Aus diesem Grund trifft das IGB auch keine Aussagen zu bestimmten Einzelfällen, wenn das Institut nicht über eine eigene Datenbasis verfügt, die entsprechend konkrete Aussagen zulässt, oder keine Daten zugänglich sind, die wissenschaftlichen Qualitätskriterien entsprechen. Das Institut ist selbst kein umweltpolitischer Akteur, sondern es berät Politik, Behörden, Wirtschaft und Zivilgesellschaft objektiv auf Basis seiner eigenen wissenschaftlichen Ergebnisse sowie dem aktuellen Stand der jeweiligen Forschungsfelder.

 

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Autorinnen und Autoren der vorliegenden wissenschaftlichen Einschätzung

Tobias Goldhammer, Anja Höhne, Lukas Kleine, Anna Lena Kronsbein, Jörg Lewandowski, Thomas Mehner, Birgit Maria Müller, Martin Pusch, Christoph Josef Reith, Hanna Schulz, Stephanie Spahr

Redaktion

Johannes Graupner und Angelina Tittmann

Fußnoten

¹ Als Ökosystemleistungen werden Leistungen der Natur für den Menschen verstanden, zur Erläuterung im Gewässerkontext siehe z.B  https://www.resi-project.info/warum-oekosystemleistungen-hintergrund/ und https://www.umweltbundesamt.de/leistungen-nutzen-renaturierter-fluesse#okosystemleistungen-von-fliessgewassern

Quellenverzeichnis

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Ansprechpersonen

Jörg Lewandowski

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Grundwasser-Oberflächenwasser Interaktionen

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